Ein Märchen für Kinder

Im fernen Orient vor vielen hundert Jahren lebte ein böser und mächtiger Zauberer mit Namen Kalidur. Schon immer war er eifersüchtig auf die Freude und Liebe seiner Mitmenschen gewesen, weil er diese Gefühle selbst nicht kannte.

Deswegen verzauberte Kalidur alle Männer, Frauen und Kinder aus dem Dorf, in dem er lebte. Er dachte: Ich fühle es nicht, so sollen die anderen es auch nicht mehr haben. Er raubte ihnen ihre Fähigkeiten zu lieben, ihre Geduld, Güte und Herzlichkeit. Alles versteckte er in einer Höhle. Die Menschen begannen böse, ärgerlich und habgierig zu werden.

Die Männer schimpften mit ihren Ehefrauen. Die Frau schlugen zuweilen die Kinder. Jeder wollte besser sein als der andere. Die Menschen fingen an zu betrügen, um sich Vorteile zu verschaffen. Wo früher Lachen und Gesang erklang, waren nun Beschimpfungen und Jammern zu hören.

Kalidur ging täglich in seine Höhle. Alle gestohlenen Gaben steckten in durchsichtigen Gefäßen, die unterschiedlich leuchteten. Nun besaß er endlich, was er immer gewollt hatte, und konnte doch nichts damit anfangen, weil er nicht wusste, wie sich diese Fähigkeiten anfühlten.

Es waren bereits Monate ins Land gezogen, als eine junge Prinzessin unerkannt durch das Dorf wanderte, die zum fernen Palast ihres Vaters, des Sultans, unterwegs war. Sie hieß Lilach und war sehr schön. Da sie schon viele Tage unterwegs war, legte sie eine Rast ein und setzte sich an den Rand des kleinen Marktplatzes.

Sie wunderte sich über die Lieblosigkeit, die von allen Menschen des Dorfes ausging. Wollte sie erst nur kurz ausruhen und dann weiterziehen, entschloss sie sich, zu bleiben und das Ge-heimnis dieses Zustandes zu ergründen.

Als Lilach Kalidur das erste Mal sah, spürte sie, dass die Gefühlskälte irgendwie mit ihm zu-sammen hing. Daher folge sie ihm und schlich unbemerkt in seine Höhle.

Kalidur stand wie jeden Tag vor den leuchtenden Gefäßen und sprach vor sich hin. „Wieso kann ich, der mächtige Zauberer, nicht das Geheimnis dieser Gaben nutzen? Ich will sie haben, ich will sie haben.“

Lilach dachte: Deswegen verhalten sich die Menschen so sonderbar! Sie war nicht nur schön, sondern auch klug. Als der Zauberer nach Hause ging, folgte sie ihm. Sie stellte sich mitten in seinen Garten und begann zu singen. Ihre Stimme war so wohlklingend, dass die Vögel schwiegen, um ihrem Gesang zu lauschen.

Kalidur öffnete seine Tür und rief: „Was soll dieses Geplärre, wer bist du?“ Lilach antwortete: „Ich bin die Tochter des Sultans und auf dem Weg zu seinem Palast. Bevor ich weiterziehe, wollte ich dir mit meinem Gesang eine Freude bereiten.“ „Hör auf damit, ich mag das nicht, scher dich weg.“

Sie war verwundert, diese Antwort hatte sie nicht erwartet. Bisher mochten alle Menschen es, wenn sie sang. Sie ging ein paar Schritte und setze sich in das Gras. So geht es also nicht, dachte sie. Lilach wollte nicht aufgeben und beschloss weiterzumachen.

In der warmen Nacht schlief sie im Gras unter den Sternen. Früh am Morgen erwachte sie mit einer Idee. Sie kaufte auf dem Markt den besten Kuchen, den sie finden konnte. Damit eilte sie zum Haus des Zauberers und klopfte an seine Tür. Mit einem grimmigen Gesicht öffnete er. „Guten Morgen“, sagte sie freundlich, „da dir mein Gesang gestern nicht gefallen hat, bringe ich heute einen Kuchen. Lass ihn dir schmecken, er ist extra für dich.“ „Ich mag keinen, verschwinde wieder“, bekam sie zur Antwort.

Die Tochter des Sultans setzte sich unter einen Baum. Sie fasste zusammen: Er mag weder Gesang noch Geschenke. Ich bin sicher, es gibt auch in diesem Falle eine Lösung. So einem Menschen war sie bisher noch nie begegnet. Sie grübelte weiter, bis sie eine neue Idee fand.

Lilach ging zurück zum dem Haus und klopfte erneut. Als Kalidur die Tür öffnete sagte sie: „Weißt du, ich habe gerade beschlossen, dich zu mögen, egal, ob du meine Geschenke annimmst oder nicht.“ Kalidur antwortete mit einer Stimme, in der Trauer mitschwang: „Das kann nicht sein, keiner mag mich und deswegen mag ich die anderen auch nicht.“ „Na gut“, fuhr Lilach fort: „da Mögen allein in deinem Falle nicht ausreicht, sage ich dir jetzt, dass ich dich liebe.“ Kalidur schaute ungläubig. „Alle Menschen haben Angst vor mir. Warum sollte das bei dir anders sein?“, klagte er.

Lilach lächelte und sprach: „Die Liebe für dich kommt tief aus meinem Herzen. Egal, was du auch tust, ich werde dich lieben und du kannst nichts dagegen tun.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sie sich um und ging.

In den nächsten Tagen besuchte Lilach den Zauberer stündlich. Bei jedem Treffen strahlten ihre Augen voller Liebe, die sie in herzliche Worte verwandelte und ihm schenkte. Es dauerte volle drei Tage, bis Kalidur aufhörte, sich gegen ihre Besuche zu wehren.

Nach einer Woche war der Bann gebrochen, er lächelte das erste Mal und sah damit ganz anders aus als vorher. Am Ende der zweiten Woche ließ er sich sogar umarmen. Inzwischen war er bereit, die Liebe von Lilach anzunehmen. Sie gingen in die Höhle, holten die Gefäße mit den gestohlenen Gaben und brachten sie ihren Besitzern zurück.

Und siehe da, der Zauberer lernte zu lieben. Als er begann, freundlich und liebevoll auf seine Mitmenschen zuzugehen, taten sie es ebenso.

Endlich fühlte er die Liebe, Güte und Herzlichkeit und erkannte, was er Zeit seines Lebens vermisst hatte.

Die Liebe ist die größte Kraft des Universums.